Springerle oder Spekulatius?

Der unbekannte Unterschied

Springerle

Spekulatius

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zwischen ihnen liegen Welten. Trotzdem werden sie in Medien und Fachliteratur noch immer in einen Topf geworfen.
Wer mit Modeln umgeht, sollte die Unterschiede kennen. Alles über die genialen Einfälle ihrer Erfinder.

Die back- und modeltechnischen Besonderheiten bei Springerle und Spekulatius

Bedruckte Teigfladen kennen wir seit dem Altertum. Von da an sind sie nicht mehr wegzudenken. Als Opfer, als Liebesgabe, als Festbegleiter.
Noch bis zu den Weltkriegen stellten ortsansässige Fachleute das Festgebäck her. Sie verfügten über einen themenreichen Modelschatz. Eine vage Erinnerung an alte Festbräuche hat sich erhalten, wenn bei uns zur Weihnachtszeit ein Plätzchenbackzwang ausbricht. Mit merkwürdiger Beharrlichkeit werden bei diesem Familienfest handgemachte Kekse bevorzugt, gerne „ in Form“ gebracht und an die Lieben verschenkt.

Schon früh verbesserte sich die Herstellung bei Brot und Kuchen, beispielsweise durch Beimischung von Hefe. Die Modelbäcker griffen dies auf, wollten sich aber die Formen ihrer gemusterten Gebäcke nicht durch unkontrolliertes Aufblähen verderben lassen. Flachgebäcke, so merkten sie, härten im Ofen schnell durch und gehen dadurch weniger hoch als ein massives Brot. Die Teigmasse musste folglich klein, zumindest aber flach gehalten werden.

Allmählich legten sie Wert darauf, die aufgedruckten Themen immer kunstvoller und erzählerischer darzustellen. Solches Gebäck übernahm bald die Funktion einer Bildzeitung. Alphabet-Täfelchen kamen in Umlauf, eine praktische Idee für Schulkinder. Je größer und massiger allerdings ein Teigstück gerät, desto eher plustert es sich auf und verzerrt die Form. So blieb es nicht aus, dass die Lebkuchenhersteller geeignete Backgesetze suchten und fanden.
Nach dem dreißigjährigen Krieg tauchen im europäischen Raum merkwürdige namenlose Sonderformen auf, für die sich inzwischen der Name Spekulatiusmodel eingebürgert hat. Diesen Namen sollte man dem Model aus Gründen der Vereinfachung belassen, obwohl das Wort Spekulatius eher für eine butterhaltige Rezeptur steht, die vom Niederrhein stammt und jünger als der Model ist. Dieses hauchdünne, charaktervoll gewürzte Gebäck muss allerdings zwangsläufig mit einem solchem Modeltyp ausgeformt werden.

Bei richtiger Technik fallen die fertigenTeig-Figuren, Reiter, Damen, Tiere, in einem Stück aus dem Model, auch wenn sie komplizierte Umrisse und innere „Aussparungen“ haben. Die zündende Idee: ein Teigstück, das erst gar keine Mitte hat, kann sich mittig auch nicht im Ofen aufblähen. Dies der Hintergedanke.
Je verständiger nun der Modelstecher, desto eleganter zergliederte er sein Motiv in einzelne schmale Teigstränge, die er geschickt miteinander verband, um dem fertigen Gebäck genügend Stabilität zu verleihen. Die Ofenhitze konnte nun auch von den Seiten her einwirken, das Gebäckstück viel zügiger durchtrocknen und am Aufblähen hindern.
Der Ideenreichtum bei der Anbringung von Stützelementen ist bemerkenswert. So wurden einem springenden Reiter gerne Hündchen zwischen die Beine gesetzt oder zumindest durch beigegebenes Blattwerk die Bruchgefahr der dünnen Tierbeinchen gemindert. Die Aussparungen an Armen und Beinen waren somit ein backtechnisches Muss, was in der Literatur bisher nicht gesehen wurde.

Die Position von „Aussparungen“ und Verstärkungen war backtechnisch von größter Wichtigkeit. Bei Laienarbeiten sind sehr oft fehlerhafte Konstruktionen zu finden, denn das gleichmäßige Ausbacken der Teigstränge musste ebenfalls im Auge behalten werden. Die Hirschbeine wurden vermutlich mit voller Absicht verdickt.

Die „echten“, späten Spekulatiusmodel vom Niederrhein nun werfen besonders kleine und besonders dünne Teigstücke ab, welche nach wenigen Minuten schon ausgebacken sind und wenig Gelegenheit haben, die Form zu verändern. Deshalb konnten sich die Hersteller leisten, dem Gebäck hier einmal deutliche Mengen an schmackhafter Butter beizugeben. Die frühen Lebkuchen wie auch die heute noch gebackenen Springerle enthalten niemals Fett. Fett macht den Teig im Ofen zerfließlich und gefährdet damit die Standfestigkeit des Musters.
Ein weiterer Vorteil konnte neben der Geschmacksverbesserung erzielt werden: Fetthaltiges Gebäck wird nicht so steinhart wie die früheren Lebkuchen – und die heute noch beliebten Springerle.
Die im Schwäbischen verankerten Springerle nun verdanken ihre Beliebtheit folgender Eigenschaft: Sie sind blendend weiß und formstabil. Kein anderer Model darf so feinmustrig geschnitzt sein, wie der Springerlemodel. Ein ausgebackenes Teigstück ähnelt mehr einem stabilen Kunstwerk als einem Backwerk. Das uralte Rezept funktioniert auch heute noch sicher und die Herstellung ist einfacher als die des Spekulatius. Teig und Model werden einfach zusammengedrückt, danach die Randzonen mit einem Messer begradigt. Als Nachteil ist die schnell aufkommende Härte zu bezeichnen, da kein Fett verwendet wird. Deshalb verbreiteten sich sinnvoller Weise bald die bekannten Sonder-Model mit den kleinen, auseinanderzuschneidenden Bildchen. Dieses kleine Flachgebäck ist problemloser zu verzehren, selbst, wenn es schon etwas hart geworden ist. Übergroße Springerlemodel darf man getrost als reine Dekoartikel ansehen, die dem Verzehr wenig Bedeutung beimessen oder von Fachunkundigen geschnitzt wurden.

Die Besonderheit des Teigs wird fälschlicher Weise in der Verwendung von Hirschhornsalz als Treibmittel gesehen. Das Entscheidende ist aber die extrem reiche Verwendung von weißem Industriezucker, ein backtechnisches Muss. Das Rezept schreibt die gleiche Menge Puderzucker wie Mehl vor. So trocknet die Oberfläche des ausgemodelten Teigstücks blitzschnell aus und erleidet beim Ausbacken keine Veränderung mehr. Diese nun steinhart gewordene gemusterte Oberfläche schützt die darunter befindlichen, noch feuchten Teigschichten, die in der Ofenhitze gleichmäßig hoch „springen“ müssen, wodurch rückseitig die sogenannten Füßchen entstehen. – Mit dem heimischen Honig als Süßstoff lassen sich keine Springerle herstellen, weshalb sich dieses Gebäck stets so deutlich von den gewohnten Lebkuchen abgrenzte, die auf Honig angewiesen waren.

Gleichmäßig hoch gesprungene Füßchen sind der Stolz der Springerlebäcker. Nach schwäbischem Brauch werden Aniskörner auf das Backblech gestreut, damit sie vereinzelt in den Füßchen haften und dem sonst nicht gewürzten Gebäck Geschmack geben.

Der Hintergrund, auf so beliebte Gewürze wie Zimt und Nelken zu verzichten, dürfte mit dem Wunsch zusammenhängen, die blendende Weiße der Oberfläche zu erhalten.

 

 

 

 

Der Vergleich zeigt links die kleinen, zierlich gemusterten Springerle, auf denen gelegentlich ganze Geschichten Platz finden. Dagegen wirken die wesentlich größeren Figuren eher grob. Das mindert nicht den „handfesten“Charme der typischen Spekulatiusmodel.Solche figürlichen Gebilde dürften der Renner gewesen sein, wenn sich die wenig verwöhnte Bevölkerung auf dem Jahrmarkt belustigte und beschenkte.

 

 

 

 

 

 

 

 

Als Blütezeit des Springerle gilt das Biedermeier, bedingt durch den in Schwung gekommenen Zuckerhandel. Die amerikanischen Südstaaten exportierten den bislang teuren Süßstoff dank Sklavenbewirtschaftung reichlich und erschwinglich. Zudem passte diese handgemachte und individuelle Liebesgabe zu dieser Epoche, die sich der privaten Zurückgezogenheit verschrieben hatte.

Lieber Leser, dieser Aufsatz ist Bestandteil einer Veröffentlichung „Neue Beiträge zur Modelbackkunst“. Bitte achten sie auf meine Genehmigung bei Weitergabe medialer und kommerzieller Art. 

Die Autorin
(www.modelbacken.de)

Weitere Links und Informationen:
kontakt@modelbacken.de
Ein Video zur Springerle-Technik

Zur Startseite